Doku über Skater in der DDR
Von Knut Elstermann (Frankfurter Rundschau 1.8.2012)
Marten Persiels dokumentarische Filmerzählung „This Ain't California“ lief als Überraschungshit auf der diesjährigen Berlinale. Er zeigt, wie sich in den 1980ern eine bis heute kaum bekannte Skater-Szene in der DDR etablierte.
Die DDR bemühte sich nach außen hin geradezu verzweifelt um eine Aura des „Weltniveaus“. Sie wollte ganz oben mitspielen, plusterte sich auf und wäre so gern einer der zehn führenden Industriestaaten der Welt gewesen. Manch einer hielt das tatsächlich für die Realität. Nach innen pflegte die DDR allerdings einen piefigen Provinzialismus, in dem schon die Sprache Bastionen gegen die westliche Lebensart bilden sollte.
Der Begriff „geflügelte Jahresendfigur“ für Weihnachtsengel dürfte zwar eine witzige Nachwende-Erfindung sein, aber die „Grillette“ für den Hamburger und die „Ketwurst“ für den Hotdog gab es wirklich. Aus dem schnittigen Skateboard wurde das behäbig klingende „Rollbrett“: eine im Grunde überflüssige Wortschöpfung, denn offiziell existierten diese Geräte in der DDR gar nicht.
Der Film „This Ain’t California“ lief als Überraschungshit auf der diesjährigen Berlinale. Er zeigt wie sich in den 1980ern dennoch eine bis heute kaum bekannte, fantasievolle Skater-Szene in der DDR etablierte und wie die rollenden Bretter auch hier sehr viel mehr waren als nur Sportutensilien. Sie wurden zu Symbolen einer autonomen, subversiven Jugendkultur. Bezogen wurden die „Rollbretter“ im besten Fall aus dem Westen. Viele entstanden jedoch in emsiger Heimarbeit, liebevoll aus Holz und Rollschuhen zusammengebastelt und geschraubt. Diese kostbaren Unikate sind eindrucksvolle Zeugnisse ostdeutscher Findigkeit und Improvisationslust.
In „This Ain’t California“ rasen Dirk und Nico auf solchen Brettern durch die Plattenbausiedlungen Magdeburgs, später stößt Denis als Dritter im Freundschaftsbund zu ihnen. Er wird „Panik“ genannt – womit sehr treffend das energiegeladene, unangepasste, anarchische Wesen des jungen Mannes beschrieben ist, der als Abwesender dennoch im Zentrum des Films steht. Er, der jeden Zwang, jede Ordnung, jedes feste System ablehnte, ist als Bundeswehrsoldat beim Afghanistan-Einsatz umgekommen. Sein Begräbnis führt die Gefährten noch einmal zusammen. Sie erinnern sich.
Von Magdeburg aus waren sie einst nach Ost-Berlin gezogen, hatten eine fröhliche Wohngemeinschaft gebildet und die endlosen Leerflächen des Stadtzentrums für ihre Skater-Künste genutzt. Besonders schön zu sehen ist das bei einer rasanten Abfahrt auf den gewaltigen Betonzacken am Eingang des Fernsehturms. Bis zur Euroskate 1988 in Prag, dem ersten Skater-Treffen im Ostblock, führte ihr von der Staatssicherheit beargwöhnter Weg. Kurz vor dem Mauerfall wurde Denis verhaftet.
Der erste Kinofilm des Regisseurs Marten Persiel, der im Westen aufwuchs und selbst jahrelang als Skater unterwegs war, spiegelt das Lebensgefühl junger Leute in der Spätphase der DDR erstaunlich authentisch wider. Sie rieben sich nicht mehr am Staat und dessen ausgehöhlten Idealen; sie ignorierten ihn, so gut es eben ging, und führten in der Nische ihr bewegtes Leben. Sie waren, wie die drei Freunde auf ihren Brettern, immer wendiger und witziger als die schwerfällige Macht.
Diese Jungs führten ein bewegtes Leben in Berlin, Hauptstadt der DDR.
Foto: Farbfilm-Verleih
Und so schildert der Film auch keinen verbissenen Kampf gegen den Staat, sondern die Normalität des Alltags, kurioserweise anhand des wirklich nicht alltäglichen Motivs des Skatens. „This Ain’t California“ verteidigt den Wert gelebten Lebens, stemmt sich mit seiner Buntheit und Verspieltheit gegen das übliche Einheitsgrau in der Darstellung von DDR-Verhältnissen und liefert fast nebenbei auch eine melancholische Liebeserklärung an eine relativ unbekümmerte Jugend. Diese Zeit erscheint als eine Art Sehnsuchtsära, welche die Helden dieses Films jedoch ebenso wenig wieder betreten können wie den verschwundenen Schauplatz ihres provokanten Übermutes, die DDR.
„This Ain’t California“ wurde vom Verleih als Dokumentarfilm deklariert. Der Film ist indes ein kleines Wunderwerk der assoziativen Montage, das trotz seiner kleinteiligen Vielfalt nie überladen, beliebig oder verwirrend wirkt, vielmehr schwungvoll den Rhythmus der waghalsigen Skater aufnimmt.
Seltenes Archivmaterial, private Super-8-Aufnahmen und gezeichnete Animationen verbinden sich mit gespielten Szenen – die allerdings nicht als solche gekennzeichnet werden und ein gewisses Unbehagen erzeugen. Nicht nur der angebliche Stasi-Mann sagt eindeutig auswendig gelernte Texte auf. Bei manchen Szenen schimmert die kunstvoll natürliche Inszenierung durch. Und so ist auch der Hauptheld, der im Krieg getötete „Panik“, gar keine wirkliche Person, sondern ein Kompositum aus mehreren Biografien.
Das provoziert grundsätzliche Fragen. Welchen Bildern kann man hier trauen? Während ihres Triumphzugs durch die Festivals räumten die Filmemacher die Fiktionalität ihres Verfahrens scheibchenweise ein. Inzwischen sprechen sie offen von einer „dokumentarischen Erzählung“, was es ganz gut trifft und diesem Film von Beginn an dienlicher gewesen wäre als die Verhüllung der Methode.
Im sehr freien Spiel mit dem dokumentarischen und dem fiktiven Material gelang ja am Ende ein glaubwürdiges Abbild des echten Lebensgefühls in der DDR, das Empfinden persönlicher Freiheit inmitten gesellschaftlicher Begrenzungen. Vielleicht stimmt in diesem Film so gut wie nichts, aber alles ist wahr.
This Ain’t California, Dtl. 2012. Marten Persiel, Drehbuch: Marten Persiel, Ira Wedel, Kamera: Felix Leiberg. 99 Min., Farbe. FSK ab 12.
(Frankfurter Rundschau 1.8.2012)